Bilanz Arzneimittel Rabattverträge – gesundheitlichen und ökonomischen Folgen

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Foto: pharmazeutische-bedenken.de

Das Inkrafttreten der AOK-Rabattverträge im Juli 2009 heizte die Diskussion über die Rabattvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen erneut an. Umstritten ist unter anderem die stark ausgeweitete Interpretation des Begriffs „gleicher Indikationsbereich“, der eine wesentliche Voraussetzung für die Aut-idem-Regelung darstellt. Es mehren sich die Stimmen, die eine Abschaffung der Rabattverträge fordern, da sie das Wohl des Patienten nicht mehr gewährleistet sehen und die ökonomischen Vorteile anzweifeln. Es ist offensichtlich Zeit für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Rabattverträge. Nach jahrelangen Diskussionen über die Berücksichtigung von Qualitätskriterien bei der Arzneimittelauswahl und die Einbindung pharmazeutischen Sachverstandes in die generische Substitution wurde im Jahr 2002 die Aut-idem-Regelung gesetzlich verankert. Allerdings wurde dabei der Auswahlspielraum durch restriktive Rahmenbedingungen eingeschränkt, indem letztlich nur Präparate aus dem unteren Preisdrittel (später sogar nur aus der Gruppe der „drei preisgünstigsten“) für die Abgabe zugelassen waren. Nach nur wenigen Jahren erfolgte eine Ergänzung der Regelungen durch die Rabattverträge, die zwischen den Gesetzlichen Krankenversicherungen und einzelnen pharmazeutischen Unternehmen abgeschlossen wurden.

FAQ – Rabattverträge für Arzneimittel

Rabattverträge nach § 130 Abs. 8 SGB V wurden im Jahre 2003 durch das Beitragssatzsicherungsgesetz eingeführt. Sie ergänzten die bis dato über 20 Steuerungsinstrumente im deutschen Arzneimittelmarkt als Verträge, mit denen pharmazeutische Hersteller unter Einräumung von Preisrabatten das (teilweise) Exklusivrecht der Abgabe ihrer Arzneimittel an die Versicherten des Vertragspartners Krankenkasse erhalten. Nach anfänglichem Nichtgebrauch durch die Krankenkassen führte die Abgabeverpflichtung der Apotheken durch das sogenannte Wettbewerbsstärkungsgesetz zum 01. April 2007 zu einer deutlichen Ausweitung. Auf Basis des seinerzeit etablierten Meldesystems an ABDATA waren zum 01. April 2007 insgesamt 3.284 rabattierte Arzneimittel gemeldet, zum 01. Januar 2010 waren es 29.391. Im Jahr 2007 wurden in den Apotheken 96,5 Millionen Rabattarzneimittel abgegeben, 2008 waren es 250 Millionen, 2009 insgesamt 310 Millionen. Das sind rund 50 Prozent aller abgegebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Im September 2009 bestanden 9.830 Rabattverträge zwischen 186 Krankenkassen und 144 Herstellern. Nach letzten offiziell vorliegenden Angaben der Gesetzlichen Krankenkassen wurde damit im 2. Halbjahr 2008 ein Potenzial von 310 Millionen Euro gehoben.

Patienten: Mangelnde Compliance und Nebenwirkungen

Eine Studie der Medical Tribune in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP) hat sich im Sommer 2009 mit den Auswirkungen der Rabattverträge auf internistische Indikationen beschäftigt.1 Die Studie hat ergeben: Hauptursache für eine schlechte Compliance ist die Verunsicherung bei den Patienten. Ausgelöst wird die Unsicherheit der Patienten zum einen durch einen Wechsel von Form und Farbe wirkstoffgleicher Arzneimittel sowie durch die fremden Beipackzettel der Präparate, die oft nicht die betreffende Indikation enthalten. Erschreckend waren die Auswirkungen der schlechten Therapietreue. Rund 60 Prozent der teilnehmenden Ärzte berichten über ernsthafte Folgen von Einnahmefehlern.

Eine Pilotstudie2 der Hochschule Fresenius wirft ähnlich schlechtes Licht auf die Rabattverträge. Sie macht deutlich: Eine rein gesundheitsökonomische Einschätzung der Rabattverträge, die sich nur auf Einsparungen durch den günstigeren Preis der substituierten Arzneimittel bezieht, greift zu kurz. Denn die notwendigen zusätzlichen Behandlungen, Medikamente und Beratungen verursachen deutliche Mehrkosten, die in der Analyse berücksichtigt werden müssen. Problematisch ist auch die fehlende Aufklärung über die Änderungen durch die Rabattverträge. Eine Untersuchung3 der Universitätsklinik Heidelberg hat ergeben, dass von 188 befragten Patienten lediglich rund zwei Drittel über die Rabattverträge informiert waren, was zu Verunsicherung und Einnahmefehlern führt.

Fachkreise: Hauptproblem ist erheblicher zeitlicher Mehraufwand

Doch nicht nur die Patienten bekommen die negativen Auswirkungen der Rabattverträge zu spüren. Auch Ärzte, Apotheker und PTAs gehören zu den Leidtragenden. Sie haben durch die neuen Bestimmungen mit einem erheblichen zeitlichen Mehraufwand zu kämpfen, da ihnen bei Vermittlung und Aufklärung der veränderten Gesetzeslage eine Schlüsselrolle zukommt. Denn nur durch umfassende Aufklärung können Einnahmefehler vermieden, mögliche neue Nebenwirkungen erkannt und die Therapietreue gewährleistet werden. Zudem besteht das Problem, dass Ärzte durch die veränderte Abgabe der Medikamente in der Apotheke nicht mehr wissen, welches Präparat ihr Patient letzten Endes erhält. Umgehen können Ärzte dieses Dilemma durch Setzen des Aut-idem-Kreuzes, das eine Substitution des verordneten Präparates ausschließt.

Der NAV Virchow-Bund, Verband der niedergelassenen Ärzte fordert Ärzte ausdrücklich dazu auf, von diesem Recht Gebrauch zu machen und nicht auf die Verordnungshoheit zu verzichten. Dass Ärzte ihre Rolle als verantwortliche Entscheidungsträger auch weiterhin ernst nehmen,zeigt eine Studie des MKM.4 Der Erhebung zu Folge verordnen rund die Hälfte der 150 befragten Ärzte Arzneimittel unabhängig von bestehenden Rabattverträgen. Lediglich 1,3 Prozent verschreiben Medikamente immer gemäß Rabattvertrag, 48 Prozent der Befragten meistens.

Initiative Pharmazeutische-Bedenken

Auch der Apotheker hat durch die Anwendung „pharmazeutischer Bedenken“ die Möglichkeit, aber auch die Pflicht, bei der Arzneimittelvergabe zum Wohl des Patienten mitzuwirken. Doch diese Sonderregelung sorgt auch für Verunsicherung unter dem Apothekenpersonal, da die gesetzliche Regelung sehr vage formuliert ist und von Fall zu Fall entschieden werden muss. Um den notwendigen Fachaustausch zu ermöglichen und alle wichtigen Informationen zum Thema Arzneimittelsubstitution, Rabattverträge und die Ausnahmeregelung „pharmazeutischer Bedenken“ zu bündeln, gibt es seit dem 1.10.2009 die Internetplattform www.pharmazeutische-bedenken.de. Fachkreise erhalten hier Hintergrundinformationen wie veröffentlichte Quellen und Stellungnahmen, aber auch Veranstaltungshinweise und Informationen zu verschiedenen Projekten. Für den interaktiven und interdisziplinären Austausch sorgt das „Forum pharmaciae“. Hier kommen alle Seiten zu Wort, sowohl Apotheker und PTAs, Ärzte als auch Krankenkassen und Vertreter der Industrie. Der Redaktion steht ein hochkarätig besetzter wissenschaftlicher Beirat aus Experten zur Seite, dessen Mitglieder die Einhaltung fachlicher Standards sichern. Quelle. R&P Medizin News

1 Praxisstudie Compliance, in: Medical Tribune Nr. 42, 16. Oktober 2009.
2 Neises, Dr. Gudrun et. al.: Machen Rabattverträge krank?, unter: www.pharmazeutische-zeitung.de, aufgerufen am 10.12.2009.
3 Leutgeb, R. et. al.: Krankenkassen-Rabattverträge: Probleme und Risiken für den Hausarzt bei der Betreuung chronisch kranker Patienten, unter: www.thieme-connect.de, aufgerufen am 11.12.2009.
4 MKM-Trendstudie „Der Arzt – nur noch Randfigur in der neuen Vertragswelt?“, in: PM-Report Nr. 12/2009, S. 21. Bilanz der Rabattverträge – jetzt wird abgerechnet

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